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Der Blick hinter die Kulissen – Die Welt der Medien

Christian Jürgens: Gegenwart in Bilder gefasst

Gegenwart in Bilder gefaßt

  „We’ll slide down the surface of things“  
U2, Even better than the real
thing

 Werbung, Show, Kunst – „The entertainment is the advertisement and the advertisement is the show“ (J.B. Twitchell). Harald Schmidt trägt standesgemäß Boss. Nina Ruge präsentiert Escada und in „Leute heute“ Leute, die heute Escada tragen. Brad Pitt wird durch einen Levi’s Werbespot zur Kultfigur. Fiktive Figuren wie James Bond fahren BMW und telefonieren mit Ericsson Handys. Die Unterhaltung ist die Werbung ist die Show.

Und die Kunst? Die Allianzen zwischen Kunst und Geld sind alt. Früher waren es Könige, die sich Hofmaler, -poeten und -narren hielten. Diese alte Form des Mäzenatentums heißt heute Sponsoring. Das bekannteste Sponsoring hierzulande ist die von Werner Lipperts „Projects“ beförderte Verbindung von Boss und dem Guggenheim Museum. Aber auch in den Hamburger Kammerspielen mimen Schauspieler zwischen den Aufzügen Zigarettenwerbung. Und jede größere Bank leistet sich eine Kulturstiftung.

Das sind Vernunftehen zwischen Wirtschaft und Kunst, von denen beide profitieren. Die Kunst ist die Braut, die sich aushalten läßt und mit dem Geld des Gatten schöne Sachen macht. Der Bräutigam sonnt sich im sozialen Glanz. In die Kunst zu investieren, das ist mindestens genauso chic wie für die Dritte Welt oder den Tierschutz zu spenden.

  An dieser Stelle soll es nicht darum gehen, diese klassischen Formen der Unterstützung der Kunst durch die Großfinanz weiter zu debattieren. Auch soll nicht die leidige Debatte geführt werden, ob Werbung Kunst sei. Denn längst dominiert die Sprache der Werbung die Ästhetik der Gegenwart. Werbefilmer machen das beste Actionkino. Gelernte PR-Leute wie Ridley Scott („Blade Runner“), David Cronenberg („The Fly“) oder David Fincher („Sieben“) drehen unterschiedslos Werbeclips, Madonna-Videos und großes Hollywood-Kino Und wenn Unternehmen ihre Produkte verkaufen wollen, müssen sie sich den Magiern der Bilder und Stimmungen anvertrauen. Längst gilt: Wirtschaft und Kunst sind in der Werbung eine unauflösliche Liaison eingegangen. Auf dieser Basis möchte dieser Beitrag zur Debatte um Formen der Kooperation von Wirtschaft und Kunst nur zwei Thesen beitragen:

  – Als Synthese aus Geld und Ästhetik erfüllt die Werbung religiöse Funktionen

Die Werbung liefert die luzideste Selbstbeschreibung der postmodernen westlichen Mediengesellschaft

  Daher nun einige Bemerkungen zur gesellschaftlichen Positionsbestimmung der Werbung, zu Glaubenskriegen und zur Beschreibungsleistung der bunten Bilder.

Bret Easton Ellis‘ Roman „American Psycho“ entwirft ohne Zweifel das prägnanteste, kälteste und schonungsloseste Panorama des ausgehenden 20. Jahrhunderts.In Deutschland ist dieses Meisterwerk indiziert. Angeblich wegen Sittenwidrigkeit, tatsächlich wahrscheinlich wegen seiner unangenehmen Wahrheiten. Ellis‘ Held Pat Bateman, ein erfolgreicher Wall Street Broker, ist ein psychopathischer Massenmörder, der jede ethische Orientierung verloren hat. Daher erstens die ideelle Positionsbestimmung: „Sex ist Mathematik. Individualität ist kein Thema mehr … Gerechtigkeit ist tot. Furcht, Anklage, Unschuld, Mitleid, Schuld, Verschwendung, Niederlagen waren Dinge, Gefühle, die niemand mehr wirklich empfand … Gott gibt es nicht. Liebe ist Betrug. Oberfläche, Oberfläche, Oberfläche ist alles, dem jemand Bedeutung zumißt..“

Dennoch gehört Bateman einer Glaubensgemeinschaft an, der der Markenfetischisten. Er betet zu Bill Blass, Brizoni und Boss. Daher zweitens die materielle Positionsbestimmung: „Vasen und Fedoras mit Federhutband und Kosmetikkoffer aus Krokoleder … und Skibrillen im Porsche-Design und Apothekenflaschen und Diamant-Ohrringe und Wodka-Gläser und Visitenkartenetuis und Kameras und Mahagonitabletts… und Keksdosen aus Keramik und Schuhanzieher für zweihundert Dollar und Rucksäcke und Lunchboxen aus Alluminium und Kissenbezüge…“

Wenn die Welt nur Oberfläche und Shopping-Mall ist, dann bieten allein Markennamen und Luxusprodukte Orientierung und Identität. Weil der Himmel leer ist, sind die Läden voll. Happy Consuming.

  Nachdem die Wissenschaft die Welt bis zur Sinnlosigkeit aufgeklärt hat, verspricht die Werbung heute deren ästhetische Wiederverzauberung. Wie der Medientheoretiker Norbert Bolz in seinem Buch „Kult-Marketing“ schreibt, werden Marken nun zu Mythen und Firmenlogos zu Hostien. „Die neuen Götter des Marktes“ nennt Bolz seine Studie im Untertitel – und hat völlig recht. Den alten Griechen war Nike eine Göttin. Den jungen Amerikaner ist sie es wieder. Das ist mehr als ein Wortspiel. Ob man Cola trinkt oder Pepsi, hat nichts mit Geschmack zu tun, es ist eine Glaubensfrage. Es ist die Kunst der Werbung, Konsum zum Kult zu machen. So wird Markenbewußtsein zum Lebensentwurf. Als vor einigen Jahren beim BVB Dortmund die Spieler Sammer und Möller verschiedene Schuhmarken trugen, war in Dortmund der Teufel los. Wittenberg im Westfalenstadion. Ein Glaubenskrieg.

Bolz zufolge bedient die Werbung gleich zwei theologische Modelle. Zum einen rechtfertigt sie wie die Theodizee die Welt und ihre Übel, zum anderen eifert sie dem großen missionarischen Gedanken des Christentums nach, der Verbreitung der einen wahren Religion.

  Als Tochter von Geld und Ästhetik übernimmt die Werbung so in gleichsam potentierter Form jene religiösen Funktionen, die auch dem Geld und der Kunst eignen sind. Jochen Hörisch hat kürzlich in seinem vorzüglichen Werk „Kopf oder Zahl“ genauestens die religiösen Funktionen des Geldes nachgezeichnet. Bis ins Vokabular von Schuldner und Gläubiger gehorcht das Geld einer religiösen Semantik.  

Aber zumindest seit der Romantik kam auch der Kunst eine religiöse Ersatzfunktion zu. Nachdem Kant Gott aus dem bestirnten Himmel über uns verwiesen hatte, entwickelten die Romantiker die Idee der Kunstreligion. Das menschliche Genie tritt an die Stelle des Schöpfers. Und seine Werke rechtfertigen das Dasein. Historisch betrachtet, ist Werbung eine der letzten und säkularsten Ersatzdrogen für das religiöse Opium.

  Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen romantischer Kunst und Werbung. In der Genieästhetik kam dem Kunstwerk ein symbolischer Gehalt zu. Das Schöne sollte immer auch Sinnbild des Guten sein. Diese symbolische Dimension hat die heutige Werbung natürlich verloren. Das ist die Benetton-Lektion: Es ist nicht wichtig, was, nur: daß kommuniziert wird. Werbung kommuniziert leer.

In Horkheimer/Adornos „Dialektik der Aufklärung“ finden sich folgende prägnante Sätze: „Reklame wird zur Kunst schlechthin, mit der Goebbels sie ahnungsvoll in eins setzte, l’art pour l’art, Reklame für sich selber…“ Natürlich klingt da noch der gute, alte, kulturkritische Ton durch: Werbung ist das Böse, die kapitalistische Manipulation des eigentlich kritischen Bewußtseins. Die Einsicht aber stimmt: Reklame ist l’art pour l’art, PR ihrer selbst.

Längst ist der einstige Pausenfüller Werbung zum Programm geworden. Gottschalk präsentiert Dauerwerbsendungen. Cannes prämiert die besten Filmrollen. Selbst Wim Wenders finanziert seine gesellschaftskritischen Filme durch Product Placement. „Die dicksten Dinger“ (ehemals „Hotzpotz“) heißt bei RTL 2 jene Sendung, die nur Werbung bringt.

Werbung wirbt für keine Produkte mehr, sondern für sich selbst. Erfolgreich im Sinne ihres Auftraggebers ist sie, wenn es ihr gelingt, das Lebensgefühl und das Begehren ihrer Adressaten zu spiegeln, zu beschreiben, oder besser: zu erfinden. Norbert Bolz hat deswegen völlig recht, wenn er mit Blick auf die postmoderne Mediengesellschaft schreibt: „Werbung ist die schlüssigste Selbstbeschreibung unserer Kultur“.

Von Hegel stammt die Definition, Philosophie sei ihre Zeit in Gedanken gefaßt. Werbung ist ihre Zeit in Bilder gefaßt. Wenn dem so ist, dann ist Werbung vielleicht die Philosophie der Gegenwart.

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