Peter Radunzki: Neue Modelle der Kulturfinanzierung
Wenn von neuen Modellen der Kulturpolitik die Rede ist, geht es meistens ums Geld. Daß die öffentlichen Ressourcen knapp sind, ist kein Spezifikum der Berliner Situation. Insofern stellen sich die Herausforderungen überall in der Bundesrepublik gleich, der Umfang, die politische Reichweite des Problems und die Geschwindigkeit, mit der eine Lösung her muß, sind hier vielleicht größer als anderswo, was sie mir abnehmen, wenn ich Ihnen einige quantitative Eckdaten nenne: Berlin investiert in diesem Jahr rund 750 Millionen Mark in seine Kulturlandschaft. 170 Museen, 3 Opernhäuser, eine Vielzahl von großen Sprech- und Musicaltheatern, kleinen und mittleren Privattheatern und Freien Gruppen, acht große klassische Orchester, mehr als 400 Galerien und rund 230 öffentliche Bibliotheken.
Die Herausforderung lautet: wie kann diese wertvolle Kulturlandschaft, dessen Qualität und Vielfältigkeit ein, wenn nicht das entscheidene Kennzeichen dieser Stadt ist, erhalten und in das nächste Jahrtausend weiterentwickelt werden und gleichzeitig der unabweisbaren Notwendigkeit der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte nachgekommen werden.
Natürlich liegt eine Strategie in der Ausgabenreduzierung. Betriebsabläufe müssen optimiert werden, Tarifverträge konsequent angewandt und Tarifstrukturen flexibilisiert, Synergieeffekte durch Kooperationen aktiviert, Möglichkeiten des Outsourcings geprüft und umgesetzt werden. Aber machen wir uns nichts vor, dieser Strategie sind schnell Grenzen gesetzt, bei gleichbleibener Qualität und Quantität des Angebotes mag der Effektivierungsgewinn bei bis zu 15% gelegen haben, in vielen Fällen ist er bereits ausgeschöpft. Weitere Ausgabensenkungen schlagen auf das künstlerische Profil, auf Qualität und Quantiät des Angebots durch.
Der Nukleus aller Antworten zielt daher auf die Stimulierung privater Kulturförderung und die Schaffung von Steuerungs- und Anreizsystemen, die die kulturellen Einrichtungen motiviert und verpflichtet, sich stärker als in der Vergangenheit üblich und nötig, auf die Steigerung der eigenen Einnahmen zu konzentrieren. Striktere Markt- und Serviceorientierung, d.h. Ausrichtung auf Zielgruppen und Publikum, der Einsatz moderner Marketinginstrumente, verschiedene Fundraisingmaßnahmen sind dafür dringend notwendig.
Quellen, aus denen man schöpfen will, müssen vorher erschlossen werden, wofür Erschließungskosten anfallen. Dies gilt auch für die private Kulturförderung. Die Erschließung führt durch das Steuerrecht, die Kosten bestehen darin, daß man bei der Beurteilung der Maßnahmen von dem starren und wenig hilfreichen Kriterium der “Aufkommensneutralität” Abschied nehmen und den gesellschaftlichen Nutzen und die langfristigen Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte viel stärker berücksichtigen muß. Das Leitbild, nach dem die Bürgergesellschaft in Hinblick auf eine aktive Gestaltung der Kultur gestärkt werden soll, geht nicht ohne ein Veränderung der Rahmenbedingungen. Ich wiederhole die Worte unseres Bundespräsidenten: ” Wenn dem Staat wirklich an nennenswert vermehrten privaten Kapital für Kultur liegt, dann muß er an das Steuersystem gehen, vor allem die Erbschafts- und Schenkungssteuer so regeln, daß es für private Zuwender attraktiv wird.”
Eines geht jedenfalls ganz sicher nicht: die Einrichtungen aufzufordern, sich stärker um private Unterstützungen zu kümmern, aber zu versäumen, die Voraussetzungen zu schaffen, damit diese Anstrengungen sich auch effektiv auswirken können.
Ich möchte Ihnen aus meiner Sicht einige Elemente nennen, die ein in die Zukunft weisendes Modell der Kulturpolitik ausmachen:
• Verselbstständigung der Einrichtungen und Effektivierung der Leitungs-, Betriebs- und Controlling-Strukturen
Für die Herausnahme kultureller Einrichtungen aus dem System öffentlicher Verwaltung spricht zunächst einmal die Freiheitssicherung der Kunst, die gerade dann, wenn es um unmittelbar materielle Interessen geht, vor Eingriffen, auch der Verwaltung ,zu schützen.
Die Übernahme stärkerer wirtschaftlicher Verantwortung wird aber auch nur dann ernsthaft zu verlangen sein, wenn damit die Freiheit zu wirtschaftlichen Handeln verbunden ist, Dispositionsmöglichkeiten eingeräumt und geeignete Anreiz- und Sanktionmechanismen greifen. Sie gewährleisten, daß die finanziellen Vorgaben auch wirklich eingehalten werden.
Um dies zu erreichen, ist die Rechtsform beinahe sekundär. Chance und Wille zu wirtschaftlichem Verhalten wird letztlich davon abhängen, daß der Geldgeber unmißverständlich bereit ist, daß Schicksal einer Einrichtung auch konsequent an die selbst formulierten Vorgaben zu binden. Damit wirkliche Verantwortung der Leitungen für die Kunst, aber auch für ihre Mitarbeiter entsteht. Derartige Konsequenzen müssen auch gegen die Mobilisierung von Politik, Gewerkschaften und Medien durchgehalten werden und dürfen sich nicht als kraftlos zeigen, wenn es darum geht, unangenehme Folgerungen zu ziehen. Hier muß ein gesellschaftlicher Konsens her.
Die verselbstständigte Einheit ist in verschiedenen Rechtsformen denkbar. Regiebetrieb, Eigenbetrieb, Zweckverband, GmbH oder Stiftung sind möglich. Wichtig erscheint mir , daß innerhalb dieser Organisationen eine Reihe von Grundorientierungen verwirklicht sind:
Umwandlung der Beamtenstellen in Angestelltenstellen,
allmähliche Herauslösung aus dem bestehenden überregionalen Tarifgefüge zugunsten hauseigener Tarifverträge,
eine wirklich leistungsbezogene Honorierung
neue Qualifikationsanforderungen an die Leitungen, die neben der künstlerischen Befähigung auch Management und Leitungserfahrung mitbringen muß, in der Regel die Trennung in künstlerische und wirtschaftliche Verantwortung,
befristete Verträge und
Konkretisierung des kulturpolitischen Auftrages durch Zielvereinbarungen, deren Einhaltung durch ein geeignetes Controlling gewährleistet wird und hinsichtlich des künstlerischen Angebots und der Wirtschaftlichkeit den Auftrag im Rahmen zeitlicher Befristungen ergänzt.
Sinn dieses ganzen Unternehmens ist es, das Bewußtsein für eine effektive und effiziente Verwendung öffentlicher Mittel zu stärken und davon wegzukommen, daß die Größe eines Etats und nicht der Nachweis seines effektiven Einsatzes Maßstab der Bedeutung einer Einrichtung ist. Daß als guter Intendant nur gilt, wer sich aus tiefer Verpflichtung für die Kunst über die allzu prosaischen Finanzfragen hinwegzusetzen in der Lage sieht. Die Entwicklung eines Kostenbewußtseins ist ebenso notwendige Folge wie unabdingbare Voraussetzung jeder Reform.
• Stärkung des Ehrenamtes
Ehrenamtliche Tätigkeit ist schon heute ein wesentlicher Pfeiler des kulturellen Lebens. Ohne das zahlreiche ehrenamtliche Engagement von Künstlern und Bürgern ließe sich in vielen Bereichen unserer Gesellschaft das umfangreiche Angebot gar nicht aufrechterhalten. Es gilt, Solidarität und Subsidiarität zu stärken. Ehrenamtliche Verantwortung und Engagement fördern, die Identifikation mit Kultureinrichtungen.
Und natürlich verbinden sich damit auch Lebensinhalt und Lebensperspektive für Menschen, die noch nicht oder nicht mehr im aktiven Berufsleben stehen.
Wir sollten uns an den USA und Großbritannien ein Vorbild nehmen und derartige Tätigkeiten gesellschaftlich stärker honorieren. Auch materiell.
Durch die Ausübung eines Ehrenamtes entstehen für den engagierten Bürger in der Regel Aufwendungen. Es sollte daher die einkommenssteuerrechtliche Möglichkeit geschaffen werden, diese Aufwendungen zu berücksichtigen.
• Stärkung des Stiftungsgedankens
Private Stiftungen sind Ausdruck einer vitalen und leistungsfähigen Bürgergesellschaft.
Mehr als 7000 Stiftungen, die wir in der Bundesrepublik haben ,sind zwar viel, aber nicht genug. Gerade auch im Hinblick auf das billionenfachen Vermögen, das sich in privaten Händen befindet und von Generation zu Generation weitergereicht wird. Die steuerlichen Rahmenbedingungen müssen verbessert werden. Darin sind sich alle Fraktionen des Bundestages einig.
Die wichtigsten Forderungen in diesem Zusammenhang sind:
Abschaffung der Durchlaufspende und Erhöhung der Abzugsfähigkeit bis zur Höhe von 20% des Gesamtbetrages der Einkünfte,
Nichtbesteuerung stiller Reserven bei Übertragung auf gemeinnützige Stiftungen,
die Erhöhung der Quote für freie Rücklagen bei nachweislichem Bedarf auf mindestens 33%, um Kulturträgern die Möglichkeit zu geben, frühzeitig kostenintensive Projekte finanziell abzusichern.
Im übrigen sollten die Vergünstigungen bei der Erbschafts – und Vermögenssteuer allen gemeinnützigen Körperschaften zukommen, die kulturelle Zwecke verfolgen.
Warum ich diese Aspekte so deutlich dargestellt habe, liegt daran, daß die Realisierung dieser Maßnahmen die Erschließung jener neuen Quellen darstellt, aus denen die Kultureinrichtungen in eigener Verantwortung künftig schöpfen müssen, wenn sie ihrer gestellten Aufgabe gerecht werden wollen.
Damit wären wesentliche Voraussetzungen geschaffen, mit strukturellen Änderungen in der staatlichen Finanzierung ernst zu machen und wirklich zu einer partnerschaftlichen Verantwortung von öffentlicher Hand und privatem Engagement für die Kulturförderung zu kommen.
Damit würden Modelle möglich, die mit dem Begriff des Fundraising andernorts schon lange üblich sind. Die staatliche Kulturföderung könnte in Abhängigkeit von der Unterstützung dritter formuliert werden nach dem Motto “Gibst Du eine Mark, bin ich bereit eine weitere dazu zugeben”.
Für die Einrichtungen würde es sich endlich lohnen, Phantasie, Innovation und auch öffentliches Geld in die Entwicklung eines Marketings zu stecken, sich über ihre “Philosophie”, ihr Konzept den Kopf zu zerbrechen, Strategien zu entwickeln und eine kontinuierliche Marktforschung und Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben, die auf langfristige, lebendige Beziehungen mit Publikum und Zuwendungsgebern abstellt.
Fragen wie:
welcher gesellschaftliche Bedarf steht im Mittelpunkt unseres Aktivitäten,
welche besonderen Angebote machen wir,
warum ist das Angebot wichtig,
für wen machen wir es,
gibt es ähnliche Angebote bereits,
wer soll aus welchen Gründen unser Programm unterstützen,
was bieten wir Personen,
die dazu bereit sind, alle diese Fragen, die heute gebetsmühlenhaft mit den Einrichtungen staatlicherseits durchdekliniert werden müssen, werden sich diese selber stellen und vor allen Dingen Antworten finden, die sie als verselbstständigte Einrichtungen im freien Wettbewerb um Anerkennung, Publikum, finanzielle und materielle Unterstützung in die Lage versetzen, die Sinnhaftigkeit der kulturellen Anstrengung, das ästhetische und intellektuelle Vergnügen auf höchstem künstlerischen Niveau zu vermitteln.
Wir sind in Berlin dabei, die Einrichtungen fit zu machen für diese neuen Herausforderungen. Die von mir benannten Veränderungen in den Leitungs- und Betriebsstrukturen, die Implantierung eines steuerungsrelevanten Controllings oder die Verselbstständigung der Einrichtungen sind oder werden zur Zeit umgesetzt
Was aber die wesentlichen Erschließungsmaßnahmen angeht, so sind diese bundespolitscher Art und der neue Kulturbeauftragte kann unter Beweis stellen, daß sein Amt auch mit Durchsetzungskraft verbunden ist, indem er die ja schon unter der alten Mehrheit entwickelten Perspektiven eines kulturfreundlichen Steuerrechtes gegen allen kulturfeindlichen Lobbyismus und allzu gründliche Prinzipienreiterei der Steuerbehörden durchsetzt. Die Länder werden wachsam sein und nach Kräften darauf zu achten haben, daß sich diese Ansätze auch wirklich entfalten können.
Denn machen wir uns nichts vor: auf die Dauer wird sich die Qualität und Vielfältigkeit der Kulturlandschaft in der Bundesrepublik nicht aufrecht erhalten lassen, wenn es nicht gelingt, Engagement und Identifikation der Bürger zu stärken.