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Der Blick hinter die Kulissen – Die Welt der Medien

Eva Ruhnau: Das Netz des Wissens als Produkt und Praxis

Sich zu langweilen ist ein hervorragendes Meßinstrument. So manches in der Debatte über Sponsoring und Mäzenatentum, über die „neuen“ Wege der Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Wissenschaft ist langweilig. Die Künstler – so scheint es zumindest – haben es da leichter. Sie haben Produkte – Bilder, Plastiken, Installationen und Performances, die, wenn sie gut sind, Ungewohntes auf- und auf Neues hinweisen. Doch die Wissenschaftler, was haben sie anzubieten? Sofern sie Naturwissenschaftler und Ingenieure sind liefern sie Grundlagen technischer Innovationen, doch dies sind etablierte, gut ausgebaute, wenn vielleicht auch oft sehr enge Wege? Und die anderen, die Geisteswissenschaftler? Gewiß, da gibt es die bisherigen Üblichkeiten, die Gutachten und Exposés, die wohlfundierten Berichte und umfassenden Studien, doch neue Wege? Der unklaren Gedanken sind viele und die Phantasie regrediert zum Zweckoptimismus.

Die Wissenschaft und die Wissenschaftler brauchen Geld jenseits staatlicher Förderung. Die Ökonomie definiert sich als Tausch von Werten. Welche Werte können Wissenschaftler (neben der Lehre und den möglichen technischen Anwendungen) produzieren, um das notwendige Geld zur weiteren Wissensproduktion zu bekommen? Und wie läßt es sich vermeiden, daß aus dem zu offensichtlichen Anbieten ein Anbiedern wird?

Die Wirtschaft braucht Kreativität und Innovationen. Und sie braucht die Wissenschaft und die Kunst, nur ein ökonomischer Solipsist könnte dies bestreiten. Die Wissenschaft und die Kunst definieren sich auch über Zeiträume, die frei von unmittelbarer Anwendung und Darstellung sind. Jeder ernstzunehmende Wissenschaftler und Künstler ist (häufig implizit) mit den, die Kreativität und Innovationen fördernden Kontexten vertraut; er weiß jedoch auch, daß der kreative Akt nicht deduziert werden kann wie das Ergebnis eines mathematischen Beweises. Werte (auch ökonomische) entstehen innerhalb eines Relationsnetzes von Dingen und Menschen. Werte sind gewissermaßen Abstraktionen dieser Kontextgefüge, die explizit verglichen, getauscht oder bekämpft werden. Werte aus dem Kontext der Wissenschaften sind spezifische Informationen und Funktionskompetenzen, deren Anwendungsmöglichkeiten häufig offensichtlich sind. Es sind bisher meist diese Werte, die für Forschungsgelder getauscht werden. Dieser explizite Tausch von Wissensprodukten und -kompetenzen gegen Forschungsfinanzierung ist unverzichtbar und wird sicher noch lange die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft dominieren. Was sind jedoch darüber hinaus die Stärken der Wissenschaft?

Dazu ein Beispiel. Die Ludwig-Maximilians-Universität München hat vor etwa einem Jahr ein Humanwissenschaftliches Zentrum (HWZ) begründet, in dem Forscher aus den Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften und der Medizin zusammenwirken. Es werden Projekte durchgeführt, die den Wissenstransfer zwischen den Disziplinen fördern und damit häufig neue und interessante Fragen hervorlocken. „Den Stab am anderen Ende aufnehmen“, diese Bezeichnung von Thomas Kuhn für einen Paradigmenwechsel ist keine geringe Herausforderung für die Vertreter des in München in 20 Fakultäten zerteilten universitären Wissens. Die Kooperation mit Wissenschaftlern anderer Fakultäten als der eigenen ruft häufig Unsicherheit, das Gefühl des Dilettantismus und Profilierung durch Abgrenzung hervor. Nicht alle eignen sich dazu, diese Hindernisse zu überwinden. Dabei bietet gerade die interdisziplinäre Zusammenarbeit die Chance, sich der fachlichen Verankerung des eigenen Wissens zu versichern und sie zu vertiefen. Daneben tritt im Idealfall ein Orientierungswissen, die Visualisierung einer geistigen Landkarte, in dem das Wissen der eigenen Zunft verortet werden kann. Ein solches Orientierungswissen zusammen mit dem jeweils spezifischen Wissen kann den Blick für die Struktur des Wissens selbst schärfen und damit die Vermittlung von Wissen erleichtern. In einer Gesellschaft, die schon längst nicht mehr eine Informations- sondern eine Wissensgesellschaft ist, ist eine solche Förderung von Strukturwissen neben dem rein inhaltlichen Wissen mehr als notwendig.

Mitglieder des Zentrums sind nicht nur Forscher der Universität München, sondern sie kommen auch von anderen Universitäten und Institutionen aus dem In- und Ausland. Trotz der kurzen Anlaufzeit kooperiert das HWZ bereits mit Instituten und Firmen aus China, Indien, Israel, Japan, Korea, Polen und den USA. Über die Wissenschaften hinaus gibt es gemeinsame Projekte mit Vertretern der Wirtschaft, den Medien und auch den Künsten.

Aus der Erfahrung mit dem Aufbau und der Organisation des Humanwissenschaftlichen Zentrums lassen sich exemplarisch Hinweise auf neue Wege der Zusammenarbeit von Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst ableiten. Zunächst sei eine Möglichkeit genannt, die so offensichtlich ist, daß man sie kaum mehr wahrnimmt. Globalisierung bedeutet auch weltweite Begegnungen und Vernetzungen von Menschen. Es gibt unzählige Ratgeber, wie zum Beispiel der Geschäftspartner in Asien zu behandeln ist, wie Kontakte aufgebaut werden können. Dabei wird vergessen, daß es einen Bereich gibt, in dem diese so wichtigen professionellen Netze zwischen Menschen bereits existieren, nämlich in der Wissenschaft. Wissenschaftler sind schon lange natürliche Botschafter ihrer Heimatländer. Einem Mitglied einer Universität sind die Türen anderer Universitäten in der Welt in der Regel nicht verschlossen. Dieses Netz der Wissenschaftler mit Offenheit und Phantasie zu nutzen, kann zu den interessantesten neuen Fragestellungen und Vernetzungen führen und (wie es das HWZ in Japan praktiziert) den Transfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft ermöglichen.

Globalisierung in menschlicher Weise kann weder extreme Homogenisierung noch extreme Mobilität bedeuten. In der Menschheitsgeschichte haben sich unabhängig voneinander verschiedene kulturelle Systeme entwickelt. Das HWZ betreut das weltweit einmalige Filmmaterial über Steinzeitkulturen des Humanethologen Eibl-Eibesfeldt und plant zusammen mit russischen Wissenschaftlern eine Dokumentation sibirischer Kulturen. Aus diesen Kulturexperimenten der Menschheit können wir lernen, was uns Menschen eint und was uns trennt. Es gibt anthropologische Universalien, die allen Menschen gemeinsam sind und sich – wenn überhaupt – nur sehr langsam verändern lassen. Und es gibt kulturelle Spezifika, die immer auch lokal verortet sind und sich nicht in eine Einheitskultur einordnen lassen. Studien über menschliche Konstanten und interkulturelle Verschiedenheiten liefern Grundlagenwissen für die politischen und wirtschaftlichen Interaktionen weltweit.

Das explizite Wissen um die Struktur des eigenen Wissens und die Verortung in der Wissenslandschaft thematisieren paradoxerweise das einer Disziplin zugrundeliegende implizite Handlungswissen. Dieses implizite Handlungswissen repräsentiert jedoch das Gefüge von Relationen, aus dem das explizite Wissen entsteht. Diese Kontextnetze werden damit zugänglich. Da sie die Basisstrukturen der Werte bilden, die ausgetauscht und damit auch ökonomisch beziffert werden können, hat dies weitreichende Implikationen für Politik und Wirtschaft.

Das Wissen über die Wissensnetze innerhalb von Disziplinen, zwischen Disziplinen und zwischen den verschiedenen Teilkulturen der modernen Gesellschaften ist ein neues Wissensprodukt. Ein Produkt jedoch, das so eng mit seiner Praxis verbunden ist, daß aus ihm etwas erwachsen könnte, was in der Diskussion über die notwendige Kooperation von Wirtschaft und Wissenschaft häufig fehlt, nämlich der Respekt vor den Methoden des jeweils anderen Bereichs. Wirtschaft und Wissenschaft praktizieren verschiedene Methoden und stehen unter jeweils anderen Randbedingungen. Gegenseitige Respektlosigkeit in dieser Hinsicht führt zu der Karikatur des Unternehmers, der vom Wissenschaftler sofortige, umsetzbare Resultate fordert und des Wissenschaftlers, der eine bornierte, absolute Freiheit der Wissenschaft für sich einklagt. Respekt – so altmodisch dieses Wort heute klingen mag – vor den mitunter sehr verschiedenen Wissens- und Handlungsbedingungen im Wissenschafts- und Wirtschaftsbereich ist ein Wegweiser in Neues.

In der Verbindung von Wirtschaft und Kunst scheint sich dieses Neue schon seit einiger Zeit anzubahnen. Das Interesse der Wirtschaft gilt nicht mehr nur dem eingekauften Kunstwerk als Darstellungsobjekt, sondern auch der Anregung und Öffnung der eigenen Mitarbeiter durch Kunstwerke und Künstler. Gegenwärtig ist jedoch auch das zunehmende Interesse der Künstler an den Wissenschaften bemerkenswert. Diese Entwicklung greift das HWZ unter anderem durch ein neues, weltweites Projekt auf, in dem Künstler wissenschaftliche Institute in allen Erdteilen besuchen werden. In der Verbindung von Kunst und Wissenschaft liegt Spannung und entwickelt sich Spannendes. Dies geht weit über die Neugier der Künstler auf die Inhalte der Forschung hinaus. Die Struktur der kreativen Akte der Künstler und Wissenschaftler sind ähnlich. Das Erspüren der Kreativität des Anderen ist eine Herausforderung an die Kreativität im Eigenen. In der Erotik des Zusammenspiels von Kunst und Wissenschaft liegt eine große Chance für die Gesellschaft, der Beginn der Auflösung der Kompartimentierung in Teilkulturen. Ein neues Zusammenwirken der „Teile“ bahnt sich an, das nicht auf der kühlen Forderung des Verstandes nach Verständigung beruht, sondern aus der unmittelbaren Kunst- und Wissenschaftspraxis herauswächst. Das Netz des Wissens als Produkt und als Praxis hat Zukunft.

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