Cornelia Steilmann: Zwischen Ökonomie und Kunst
Zukunft bei (by) Steilmann – Von Cornelia Steilmann und Lisa Kirfel-Rühle (Steilmann)
Die Globalisierung der wirtschaftlichen Märkte stellt die Identität jedes Unternehmens vor neue Herausforderungen. Mitarbeiter und Kunden unterschiedlichster Kulturen, ein weit gefächerter Arbeitsmarkt und ständig wechselnde Stoffströme müssen koordiniert werden. Neben der technischen Vernetzung z.B. über Inter- und Intranet, stellt sich das Problem der sozialen Wahrnehmung innerhalb der Organisation.
Welchen Einfluß haben 14.000 Beschäftigte in der Produktion in Rumänien auf die Zentralorgane in Wattenscheid? Wie trägt eine globale Arbeitsteilung der Organisation des Konzerns Rechnung? Welches Verantwortungsgefühl geht mit einer internationalen Vertriebs- und Produktionsstruktur im Unternehmen einher? Was ist, wenn Mitarbeiter langsam bemerken, daß die Stimmung im Unternehmen kälter geworden sei und die Menschen nur noch wie Nummern erscheinen? Wenn der Wunsch entsteht, daß Steilmann wieder mehr Heimat werden müßte?
Nur zu einsichtig ist es da, wenn Vordenker aus der Wirtschaft wie Daniel Goeudevert zur Besinnung auf kulturelle Unternehmenswerte weisen: „Deutschland wird auf den globalisierten Märkten nur dann bestehen können, wenn es das kulturelle Geschehen genauso wichtig nimmt wie das wirtschaftliche.“ und „Eine Studie des Massachusetts Institute of Technology in Boston belegt, daß Firmen, die ihre soziale Verantwortung wahrgenommen haben, erfolgreicher waren als andere.“
Für das Unternehmen der Zukunft wird es folglich überlebenswichtig sein, das technisch perfektionierte Wissen auf eine kulturell stabile Basis zu stellen. Zur Auseinandersetzung mit diesen beiden Ebenen wurde 1991 das Klaus Steilmann Institut für Innovation und Umwelt GmbH (KSI) von Dr. Ing.h.c. Klaus Steilmann und Professor Dr. Wolf D. Hartmann gegründet.
Im Klaus Steilmann Institut wird in Richtung markt- und umweltorientierter Innovationsziele gedacht und gehandelt, als Pilotraum und Recherchezentrum einerseits und Unternehmen, das wirtschaftlichen Zwängen unterliegt, andererseits. Hier hat sich ein Team von Menschen formiert, das ständig technische Neuerungen auf dem Textilienmarkt recherchiert. Im Mittelpunkt stehen dabei die nachhaltigen Aspekte von Bekleidung wie Pflegeleichtigkeit, Langlebigkeit, und Tragbarkeit. Produkteigenschaften also, die direkte Antworten auf die gestiegene Anforderung an die Lebensqualität der Menschen geben. Da die Steilmann Gruppe eine Leistungsführerschaft innerhalb der europäischen Textil- und Bekleidungsindustrie anstrebt, ist eine integrierte Unternehmensentwicklung im Partnerverband mit der vorgelagerten Textilindustrie und den nachgelagerten Handelspartnern erforderlich. Entsprechend arbeitet das KSI unter ganzheitlicher Betrachtung entlang der textilen Kette, ob vor- oder rückwärts integriert. Das bedeutet neue Faserkombinationen in der Zuliefererbranche, Zusammenarbeit mit universitären Forschungseinrichtungen für neue Aufgaben der Bekleidung und Kooperationen mit Zertifizierungsstellen, um neue Qualitäten zu garantieren.
Im Unterschied zu einer klassischen auf neue Technologie ausgerichteten F&E Abteilung werden im KSI vor allem auch unternehmenskulturelle Aspekte beleuchtet. Denn analytisch gerechtfertigte Entscheidungen für ein Produkt oder eine Marketingstrategie, erarbeitet unter Annahmen der Rationalität, treffen wir augenscheinlich tagtäglich. Sie sind aber nicht die alleinige Basis einer zukunftsfähigen Organisation. Wer also von dem Institut monatliche Berichte erwartet, die streng ökonomischen Werten Rechnung tragen, wird enttäuscht werden. Die zwei Potentiale, die das Institut hat, sind die Menschen und ihre Ideen. Aus ihrem Zusammenspiel entstehen mit den Linienfunktionen des Unternehmens Denkansätze und Produkte, die einen wesentlichen Beitrag zur Zukunft des Gesamtunternehmens leisten.
Steilmann als Sozialkonstrukt
Wenn die Unternehmensgruppe Steilmann als ein kommunikatives Netzwerk betrachtet wird, das sein eigenes soziales Gleichgewicht besitzt, das nicht allein unter ökonomischen Anhaltspunkten zu planen ist, dann stellen sich ganz andere Anforderungen an die Mitarbeiter. Das Einbringen eigener Ideen, der eigenen Persönlichkeit als Beitrag zum Netzwerk wird wesentlich. Das Maß an Selbstkontrolle und der eigenen Vorstellung was für das Unternehmen gut ist und was nicht, muß unweigerlich steigen.
Die „Familie Steilmann“ ist dabei ein großer Ideenpool und Produzent von Unternehmenswerten. Die Geschäftsgrundlage der „Mode für Millionen“ zeugt von einem realistischen, unelitärem Menschenbild. Werte wie Ökologiebewußtsein und Sozialstandards, Teamgeist motiviert durch Sport, bis hin zur kritischen Einstellung gegenüber festgeschriebenen Unternehmenszielen schließen sich daran an. „Es bleibt in der Familie.“: Das Unternehmen Steilmann als Familie ist die Fußballwelt, sind die Familien der einzelnen Mitarbeiter und Kunden, ist das kulturelle Umfeld des Unternehmens.
Dies ist eine Art von Corporate-Identity-Schaffung, deren Wert nicht zu unterschätzen ist. Die zukünftige Belegschaft muß so nicht erst über rationale Schulung mit der Unternehmensidee bekannt gemacht werden. So berichtet eine Auszubildende, daß sie auf der Suche nach dem Buch mit den Unternehmenszielen im ganzen Haus herumgelaufen sei, jedoch ohne Erfolg.
Ideell ist die Familie Motor für die Schaffung neuer Unternehmenswerte, indem sie ihre eigene Emotionalität und ihre eigenen kulturellen Werte in die Organisation trägt. Doch scheint die Familie, glaubt man der Feststellung über die aufkommende Kälte bei Steilmann, im Verhältnis zum Unternehmen zu klein geworden zu sein, um den Familiengeist überall hinzutragen. Wie läßt sich die Familienkultur, die per se für sozialen Zusammenhalt steht, multiplizieren und im Unternehmen bewußt institutionalisieren? Gezielte Modellversuche zur Schaffung angstfreier Räume im Unternehmen können, so Ulrich Wever, hier weiterhelfen: „Indem man für einzelne Projektgruppen oder ausgewählte Abteilungen Freiräume schafft und für sie die Entwicklung eigenständiger (angemessener!) Kulturen zuläßt, wird altes Denken durch neues ersetzt. So können, zunächst punktuell, Kulturinseln entstehen, die sich als Prototypen für eine neue, zukunftssichere Kultur erweisen mögen.“
Das KSI ist eine Kulturinsel
Der Status des KSI innerhalb der Steilmann Unternehmensgruppe entspricht annäherend der von Ulrich Wever benannten „Kulturinsel“. Denn gerade für die Aufgabenerfüllung des KSI zählt nicht nur der von anderen nachvollziehbare Erfolg einer vorher festgelegten Aufgabe, sondern die Rolle als „freiheitlicher“ Quer- und Kulturdenker. So verfügt das KSI über ein ausgeprägtes Eigenleben innerhalb der Steilmann Gruppe. Hier ist es möglich, Spion und Störer auf den Fluren zu sein, emotional zu denken und die Dinge stets neu auf den Kopf zu stellen. Letztendlich benutzt diese informelle Ebene die Rationalität der Struktur und Strategie der Entscheidung nur als rhetorische Figur zur Aufrechterhaltung des kommunikativen Netzwerks. Mit seiner Arbeit in Projektform, einer äußerst offenen Umgangsweise und einem hohen Maß an Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeiter wird im KSI bewußt ein kulturell geprägtes Arbeitsfeld geschaffen.
Zentraler Bestandteil der KSI-Kultur sind verschiedene Projektkooperationen mit kreativen jungen Menschen. So entwarfen Studenten der FH Hannover Modelle zum Thema: „Zukunft der Arbeit – Zukunft der Bekleidung“. Ferner ist das KSI Mitinitiator interdisziplinärer Studentenwettbewerbe wie dem Strickereisymposium Apolda, in dessen Rahmen Designstudenten, Wirtschaftswissenschaftler und Mediengestalter aufgefordert sind, Ideen und Entwürfe für eine innovatives Wirtschaftszentrums zu entwickeln, dessen Ansatz weit über eine reine Marketingstrategie hinausgehen wird. Damit wird dem Gedanken Rechnung getragen, daß ein Wirtschaftszentrum, wie die Maschenindustrie zu Apolda zugleich auch eine kulturelle Region ist.
Die Ideengenerierung im KSI für derartige Projekte oder eigene Produkte, erwächst aus der Beschäftigung mit den unterschiedlichsten Lebensbereichen. Auf den Schreibtischen liegen Einladungen zu Performances, Kunstausstellungen, Architekturmagazine, Bücher über nachhaltiges Wirtschaften und Internetzeitschriften. Die unterschiedlichen Berührungspunkte von Gesellschaftskultur, Wissenschaft und unternehmensinterner Kommunikation sind für alle Mitarbeiter des KSI die Inspirationsfelder, die wirklich neue Dinge innerhalb der Organisation Steilmann und ihres Beziehungsmanagements wachsen lassen.
Diese Prozeßorientierung setzt ein hohes Maß an Kreativität voraus. Kunst und Kultur als Ressource – hier haben die Mitarbeiter Freiraum für sich selbst und ihre eigene Entwicklung, für augenscheinlich „ökonomisch nicht verwertbare“, aber menschlich sehr wichtige Erkenntnisse. Die Organisation Steilmann schafft sich damit eine Art Wissenspolster und ein Zukunftslabor. Gleichzeitig garantiert der Freiraum eine motivierende Arbeitsatmosphäre, welche für die Mitarbeiter eine neue Identifikation zum Unternehmen schafft und damit die „Familie Steilmann“ als Fixpunkt entlastet.
Dieser Arbeitsansatz des KSI greift auf einen neuen Bildungsbegriff zurück, der den herkömmlichen der Ausbildung stark erweitert. Fach- und Sachkenntnisse allein greifen nicht mehr. Gefordert ist die Bereitschaft zur permanenten, selbständigen Auseinandersetzung mit neuen Eindrücken und Einflüssen.
Kunst als unternehmerisches Kapital?
Die Erschließung und Schulung kultureller und schöpferischer Fähigkeiten beinhaltet, auszuprobieren, was noch unbekannt ist. In der Modebranche wird Kreativität stark am Produkt gedacht. Sicher ist es wichtig, Modetrends nachzuspüren und Kooperationen mit Kunst- und Designhochschulen zu schließen. Kreativität bedarf es aber auch im gesamten Unternehmenszusammenhang und darüber hinaus. Die von Mode unabhängige Beschäftigung mit Kunst kann hier einsetzen.
Die Möglichkeiten, Kunst ins Unternehmen zu bringen sind groß. Zum Beispiel kann das Unternehmen Künstler fördern und die Ergebnisse in eigenen Ausstellungen präsentieren. Die Mitarbeiter können damit aufgefordert werden, sich passiv oder aktiv mit Kunst auseinanderzusetzen. Seminare zur Betrachtung von Kunstwerken und Installationen sind möglich. Durch das persönliche Erleben und die praktische Beschäftigung mit Kunst – z.B. abteilungsübergreifendes Gestalten eines Objekts mit anschließender Analyse – können Gruppenprozesse materialisiert und aufgedeckt werden. Interessant ist dabei, zu sehen, wie unterschiedlich Kollegen in arbeitsfremden Zusammenhängen, die keinen Bewertungskriterien unterzogen werden können, reagieren.
Ein zentraler Aspekt aller kulturellen Aktivitäten eines Unternehmens sollte nicht aus dem Auge verloren werden: Kunst ist vor allem Kapital wegen ihrer Ziellosigkeit, wegen ihrer unermeßlichen Freiheit. Der bewußte Einsatz von Kunst zum Erzielen eines Ergebnisses ist keine Kunst mehr. Routine tötet!
„Since creativity lives by its reputation, the thrill is gone as soon as we catch it following a routine.“
Künstlerisches und ökonomisches Denken sind damit traditionell zwei sich ausschließende Denkweisen. Denn während im Vordergrund der Ökonomie die Verwertbarkeit in einer Input-Output-Logik steht, dominiert in der Kunst der reine Prozeß, das Was-stellt-es-mit-uns-an?
Ein Beispiel, das den Widersinn von Kunst und Ökonomie ebenso zeigt, wie die gegenseitige Notwendigkeit: Der Preßlufthammer in der Kantine bedient von einem Bauarbeiter oder einem Künstler sind zwei verschiedene Dinge. Während der Preßlufthammer als Gerät des Bauarbeiters in keinem Zusammenhang mit der eventuellen inneren Unruhe der Mitarbeiter steht, drückt er als Instrument des Künstlers gerade eben jenes, vom Künstler im Vorfeld wahrgenommene Phänomen aus. Der Preßlufthammer als künstlerische Diagnose vermag vielleicht bei einigen Mitarbeitern einen Prozeß auszulösen, der zum Aussprechen dessen führt, was vorher nie gesagt wurde.
Kunst kann also Begegnung sein, kann Kommunikation anregen. Das ist ein Angebot auf Seiten der Kunst, ohne auf Nachfrage zu warten. Gesellschaftliche Eindrücke werden anders verarbeitet. Ökonomisch wird sie niemals geplant verwertbar, kann aber blind spots der Organisation aufzeigen. Als Nichtraum, Raum des Irrationalen steht sie für all jene Prozesse, die in einem Unternehmen und darüber hinaus nicht institutionalisierbar sind: Letztendlich ist sie das Neue, das spontan sich Bildende, aus dem Nichts schöpfende, oder Vorhandenes zerstörende.
Ist die Förderung der kulturellen Aufnahmefähigkeit im Menschen nun ein Risiko für das Unternehmen? Beständiges Einlassen auf neue Eindrücke, bedeutet ständiges Erfahren und Lernen. „Lebenslanges Lernen“ heißt aber nicht nur lebenslang für Steilmann, sondern auch lebenslang für sich selbst.
Diese Auseinandersetzung über den Sinn einer Organisation „Unternehmen“ und dem menschlichen Ziel der Selbstverwirklichung wird umso stärker geführt, je „aufgeklärter“ die Mitarbeiter über ihre eigenen Ziele und Möglichkeiten sind. Eine eigene Position gegenüber dem Unternehmen, gegebenenfalls auch eine Distanz schafft Klarheit über die eigene Rolle in der Organisation. Es festigt zugleich die kulturelle und damit auch die wirtschaftliche Basis des Unternehmens: Denn gerade die Kunst des Loslassens eröffnet die Fähigkeit des wirklichen Zupackens. Auf die Frage: „Was wäre mit Ihnen, wenn es Steilmann nicht gäbe?“ fallen dann unter den Mitarbeitern des KSI auch die Antworten in großer Buntheit aus: Vom Bau eines Ökologiehauses über die eigene Unternehmens-gründung bis hin zur Weltreise und zum Besuch der Filmhochschule.
Die Insel soll Land gewinnen
Wie läßt sich nun der Ideenpool des KSI als Wissenspool und kulturelle Basis in das gesamte Steilmann Unternehmen übertragen bzw. einbinden?
Das KSI soll kritischer Beobachter für die Steilmann Gruppe sein. Konkrete Aufgabe ist es, Produktneuheiten einzubringen sowie die selbstmotivierte Suche nach Verbesserungsmöglichkeiten in der Kommunikation mit den Handelspartnern zu fördern. Damit ist das KSI aufgefordert, direkt und unmittelbar in die Prozesse der Steilmann Gruppe einzugreifen und Anregungen für neue Sichtweisen zu geben. Die in vielen Unternehmen übliche Kommunikationsebene der Gutachten leistet dies nicht. Vielmehr muß die vom KSI erarbeitete und gelebte kulturelle Basis im direkten Dialog und Austausch an die Mitarbeiter der Steilmann Gruppe weitergegeben werden. Die Einbeziehung der Steilmann Mitarbeiter in die Projekte des KSI fördert den kritischen Dialog innerhalb des gesamten Unternehmens. Gleichzeitig lernen die Mitarbeiter in der gemeinsamen Umsetzung von Projektergebnissen den Wert des kulturellen, von ökonomischen Zwängen ungebundenen Denkens für die Entwicklung des Unternehmens kennen. So bekommen auch sie mehr Mut, ihr Denken und Handeln für „Neues“ zu öffnen und damit bewußt einen eigenen Beitrag zur Zukunft des Unternehmens zu leisten.
Kunst und Kultur können also als Inspirationsfeld wirken, aber nie unter der Prämisse, ökonomische Interessen zu thematisieren. Sie können Fragen aufwerfen, die jemanden einer Antwort näher bringen, aber niemals erwartete Antworten herbeiführen. Dieser offene Zustand, der eher ein Prozeß als ein Zustand ist, spiegelt den Charakter einer lernenden Organisation wieder und kann für ein lebendiges Unternehmen, dessen Identität durch die Globalisierung neu definiert werden muß, von großer Bedeutung sein. Für die längst zum „Global Player“ gewordene Steilmann Gruppe leistet das Klaus Steilmann Institut als prozeßorientierte Organisation diesen kulturellen und innovativen Beitrag.