Daniel Delhaes: Die Kraft der Farben
Das Siemens Kulturprogramm zählt zu den fortschrittlichsten in Deutschland. Ein gelernter Musiker hält mit seinem Team einen Weltkonzern in Atem. Das Ziel: Neues Denken auslösen und Strukturen aufbrechen. |
Rupprecht Geiger: Ohne Titel, Jahr unbekannt |
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Nur 17 Jahre später entstand ein Unternehmen, das sich ebenso die Suche nach dem Neuen auf die Fahne geschrieben hatte. Werner von Siemens präsentierte der Welt den Zeigertelegraphen und erhoffte sich von seiner Entdeckung, daß die „Telegraphen-Bauanstalt Siemens&Halske“ ihm und seinen Nachkommen „Macht und Ansehen in der Welt gebe“ und sie „in höhere Lebensregionen“ führe. Mit der philosophischen Denkrichtung Comtes hatte der findige Avantgardist bei seinem folgenden Aufstieg freilich wenig im Sinn. Auch heute stehen in der Welt der Aktienkurse, Gewinne und Fusionen kühle Köpfe und Nutzenmaximierer in den ersten Reihen, lenken promovierte Lean-Manager und Outsourcer die Geschicke der Unternehmen. Ihr Ziel ist simpel und doch schwierig umzusetzen: Sie wollen die Nummer eins am Markt sein. Die Nummer eins möchten auch Konzerne wie Siemens sein, die als Global Player im harten Wettbewerb jeden erdenklichen Kostenvorteil nutzen müssen. Kostenvorteile hin oder her: 1987, exakt 140 Jahre nach der Gründung der Telegraphen-Bauanstalt, hat Siemens das Thema Kultur institutionalisiert und investiert seither Jahr für Jahr Millionenbeträge, um zeitgenössische Künstler und deren Arbeiten zu finanzieren. Nach dem Tode Ernst von Siemens‘, der einen Musikpreis und eine Stiftung zur Förderung der bildenden Künste eingerichtet hatte, sollte die Verbindung zur Kultur bestehen bleiben – auch wenn das Unternehmen damit den Umsatz nicht unmittelbar steigern kann. Was aber nutzt es, sich Altruist zu nennen, wenn es doch darum geht, den Umsatz konsequent zu steigern? |
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Josef Albers: Hommage to the square 1967 |
„Wir betreiben Zukunftssicherung, so wie der Bauer seinen Acker bestellt. Das Unternehmen muß langfristig gestalten und darf sich nicht nur auf seine Umwelt oder gar den Staat verlassen“, sagt Michael Roßnagl. Er ist die kulturelle Seele von Siemens. Er ist es, der einen Etat verwaltet, dessen Umfang bewußt nie genannt wird. Weil es ihm und dem Unternehmen um die Zukunftssicherung geht, arbeiten Roßnagl und sein 13köpfiges Team direkt im Hauptquartier der Siemens AG, wenige Räume entfernt von Vorstandschef Heinrich von Pierer. |
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Für den Begriff „Kultur“ mögen Dutzende von Definitionen existieren, aber vermutlich am besten umschreibt „Kultur“ den geistigen, sozialen Entwicklungsstand einer Gesellschaft. Siemens begreift sich als Teil der Gesellschaft; Siemens entwickelt Neues, hat sogar den Anspruch, Leben zu gestalten und zu verändern, wie einst der Zeigertelegraph die Kommunikation weltweit revolutionierte. Das alles erfordert anderes Denken, gegen den Strich zu bürsten. Die Politik weiß keine rechten Antworten auf die Herausforderungen, sprachliche Neuschöpfungen wie „Reformstau“ reduzieren die geistige Lähmung auf ihr Wesensmerkmal. Querdenker und risikofreudige Eliten sind in einer Zeit der gesellschaftlichen Umbrüche gefragt. Die Forderung „Denken Sie das Unmögliche“, wie sie der Porsche-Vorstandschef Wendelin Wiedeking an die Politik stellt, kommt da nicht von ungefähr. „Die Menschen wollen immer, daß es ihnen besser geht, nur ändern darf sich nichts“, bringt Roßnagl den Stillstand auf den Punkt. Die Scheu vor dem Neuen wollen Roßnagl und seine Mitdenker aus der Kunst- und Kulturgeschichte, der Musikwissenschaft, der Germanistik und Politikwissenschaft den 380000 Beschäftigten im Konzern nehmen. Dafür initiieren und unterstützen sie Jahr für Jahr etliche Projekte. Das Team vergibt Kompositionsaufträge, ermöglicht Ausstellungen und Theateraufführungen, Konzerte, Tanz und Videoinstallationen. Zeitgenössisch müssen die Projekte schon sein, ansonsten gibt es aber keine Grenzen. Siemens ist überzeugt davon, daß nur im Dialog mit den Künstlern etwas entstehen kann, das auch das Unternehmen voranbringt. Innovationen sollen in den Köpfen ausgelöst werden. |
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Kultur arbeitet zusammen mit der Wirtschaft: „Die freie Gestaltung durch den Künstler ist dabei oberstes Gebot“, erklärt Roßnagl. Das Ergebnis präsentiert das Kulturprogramm zuerst den Mitarbeitern und deren Angehörigen, danach darf die Öffentlichkeit teilhaben – ohne daß ihnen ein Siemens-Logo ins Auge springt. Darauf legt das Kulturprogramm wert. Monat für Monat stehen mehrere Veranstaltungen zur Auswahl. „Natürlich sind nicht immer alle von den Projekten begeistert“, gesteht Roßnagl. Doch auch das Unangenehme löse schließlich kreative Prozesse aus. | Lothar Quinte: Ohne Titel, 1967 |
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Die Mitarbeiter des Kulturprogramms sind ständig unterwegs, besuchen Künstler und reden mit Museumsdirektoren. Die Gespräche wecken Gedanken für neue Projekte – oder eine Idee entwickelt sich im Headquarter-Brainpool am Wittelsbacher Platz. So kam etwa im Büro der Einfall zustande, historische Jahrmarktorgeln mit zeitgenössischer Musik zu bespielen. Siemens beauftragte fünf Komponisten, die bei ihrer Arbeit merkten, daß eine Orgel ihre eigenen Gesetze hat. Am Ende ertönte eine Musik, die nur auf einer Orgel klingen kann. Künstler, Organisten und Zuhörer überschritten bei der Uraufführung in Magdeburg so eigene Erfahrungshorizonte. Andere Projekte entstehen auf Anregung von Kulturschaffenden. Auf diese Weise kam die Ausstellung „Deep Storage“ zustande, die zeigt, wie in den unterschiedlichen Wissenschaftszweigen in den vergangenen dreißig Jahren Informationen gespeichert und archiviert wurden. Das Siemens Kulturprogramm hat das Konzept gemeinsam mit dem Münchener Haus der Kunst entwickelt, zwölf Neuproduktionen in Auftrag gegeben und den Katalog gestaltet. „Unser Katalog zur Deep-Storage- Ausstellung ist mittlerweile das Handbuch zum Thema Speichern geworden“, kann Roßnagl heute sagen. |
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Günter Fruhtrunk: Ohne Titel, etwa 1965 |
Einmal im Jahr prüft die Vorstandsetage das Kulturprogramm auf Herz und Nieren. Dann muß Leiter Roßnagl zeigen, ob seine Kreativen auch betriebswirtschaftlich gedacht haben. Konzernchef Heinrich von Pierer fordert eine glasklare Kosten-Nutzen-Rechnung und eine Planung für das nächste Geschäftsjahr. Dafür nimmt er sich eine ganze Stunde Zeit. „Wie war die Resonanz im vergangenen Jahr, was lief besonders gut, wie viel haben wir ausgegeben, welche Projekte stehen in diesem Jahr an, was wird uns das bringen?“ Ach ja, und : „Was wird es kosten?“ | |||||
Für Roßnagl sind solche Kontroversen immer wieder ein Kompliment. „Um als Unternehmer von der Kultur zu profitieren, muß man bereit sein, die Förderung einem kulturdenkenden Menschen zu übertragen. Kultur denkt anders als Ökonomie.“ Das zu erkennen sei oft der schwierigste Schritt für Firmenchefs. Das Kulturprogramm des Technologiekonzerns Siemens macht möglich, was andere für abwegig und unverständlich halten. Dahinter steckt immer der Wille, innovativ und kreativ zu sein, einen Ideenpool zu befördern, der nicht nur die kulturelle Szenerie um einige Projekte bereichert, sondern auch die kulturelle Haltung im Unternehmen prägt. Die Belegschaft bekommt diese Haltung zu spüren, und gelegentlich protestiert sie auch – zumindest am Anfang. „Vor fünf Jahren war das Geschrei groß, als wir anfingen, Bilder in den Fluren aufzuhängen. Heute fragen mich die Mitarbeiter: Wann macht ihr wieder etwas Neues?“ Für Roßnagl steht fest, daß die Menschen bereit sind, sich an- und aufregen zu lassen. Und die Leute regen sich auf. Etwa dann, wenn der Maler Rupprecht Geiger eingeladen wird, ein Bild für die Kantine im Siemens-Headquarter am Wittelsbacher Platz zu schaffen. Seitdem dort das „Farbfeld 845/91“ hängt – mit eineinhalb mal siebeneinhalb Metern „residiert“ es eher –, fällt es einigen Mitarbeitern schwer, weiterhin dort ihre Mittagspause zu verbringen. Nicht, daß ein wunderschönes Landschaftsbild zum Träumen einlädt oder den beruflichen Alltag erleichtert – das Bild ist einfach magentafarben: bestechend schlicht. Farbe wird zur Aktion. „Ein Mitarbeiter hat mir geschrieben, er könne beim besten Willen nicht mehr in der Kantine essen. Er habe sich sogar mit dem Rükken zu dem Bild gesetzt, aber es habe ihn einfach gestört.“ Roßnagl schickte dem Kollegen kurzerhand einen kunsthistorischen Aufsatz, der genau dieses Geiger-Phänomen beschreibt, das der Mitarbeiter an Haut und Haaren spüren mußte: Die Farben durchdringen ihn regelrecht. Mittlerweile ißt der Mitarbeiter wieder in der Kantine, doch leicht stellt sich die Frage nach dem Nutzen für Siemens. „Die kulturelle Haltung, die Identität ist nicht in Geld meßbar. Sie ist vielmehr spürbar und hat eine Aura“, erklärt Roßnagl. Für das Kulturprogramm-Team und letztlich auch für den Vorstand sind es die „weichen“ Faktoren, die den Erfolg garantieren: Wie groß ist das Interesse im Haus, wieviel spricht man über das Kulturprogramm, ist es „in“? „Vielleicht ist es auch unserem Kulturprogramm zu verdanken, daß sich das Unternehmen umstrukturiert, es moderner wird und auch mehr Patente anmeldet als noch vor einigen Jahren.“ Und auch die Kultur hat endgültig Einzug in jedes einzelne Büro gehalten. Mitarbeiter holen sich für ihre Büros beim Kulturprogramm Plakate ab, der Arbeitsplatz entwickelt sich zum persönlichen Lebensraum. Vielleicht hat auch das Kantinenbild zum Wandel beigetragen. Rupprecht Geiger weiß auf jeden Fall, warum es dieses durchdringende Magenta in der Kantine sein mußte: „Rot ist Leben, Energie, Macht, Liebe, Wärme, Kraft. Rot macht high.“ |