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Der Blick hinter die Kulissen – Die Welt der Medien

Journalismus

Vierte Macht im Staate oder Vermittler?

— Heute findet sich ein äußerst lesenswerter Artikel im Handelsblatt mit dem Titel: „Reden wir über uns!“. Frank A. Meyer, Journalist im Schweizer Ringier Verlag, geht dabei der Frage nach, was wir Journalisten für eine Aufgabe haben und wie sich demgegenüber das Selbstverständnis geändert hat. „Noch nie habe ich dieses neue journalistische Selbstverständnis so unverhüllt erlebt wie jetzt gerade in Deutschland. Vierzig Jahre lang betrieb ich meinen Beruf im Bemühen, als politischer Journalist dem Begriff Medium gerecht zu werden. Das heißt: Vermittler zu sein von Meinungen und Stimmungen und Nöten und Freuden. Auch betrieb ich mein Metier im Bewusstsein, nur eine Stimme zu sein unter vielen Stimmen. Schließlich war ich stolz darauf, dass mein Berufsstand mit all den eigensinnigen und eigenständigen Kollegen die Vermittlerrolle wahrnahm zwischen den verschiedenen Kräften der Gesellschaft, zwischen den verschiedenen Strömungen der Gesellschaft, vor allem zwischen den Bürgern unterschiedlichster kultureller und sozialer Herkunft. Auch hier bin ich irritiert, sogar befremdet: Da diese neu erwachte Medienmacht gegenwärtig ungehalten ist, überlegt sie sich – anders kann ich es nicht lesen –, ob sie der gewählten Regierung ihre Gunst entziehen will oder nicht. Wie ich es verstehe, kann sich die Regierung auch bessern, indem sie den Medien liefert, was diese fordern, nämlich Hauskrach und Spektakel.“
Harter Tobak von einem, der uns Deutsche beobachtet. Seine These: Alles und alle müssen sich den Medien unterordnen. Zu fragen ist aber – und das tut Meyer – wer wen wie beinflusst und ob nicht die Gegenseite auch ihrerseits alles unternimmt, um mediengerecht daherzukommen. Meyer: „Die mächtige, die unbeirrbare, die dogmatisch immer noch so gefestigte katholische Kirche hat erfahren müssen, dass die Medien die größere Macht sind als der Vatikan. Sie erinnern sich an das quälend langsame Sterben des Papstes Johannes Paul II. Sie haben das Bild noch vor Augen, wie er moribund am Fenster sitzt, einen Ölzweig hilflos in der zitternden Hand, den Mund aufgerissen, das Gesicht verzweifelt, der Stimme beraubt. Showtime mit einem Sterbenden. Können wir uns darauf hinausreden, dass der Vatikan diese Inszenierung seinerseits betrieben habe? Der Vatikan hat sich den Anforderungen des Medienzeitalters angepasst. Er hat sogar Rituale angepasst. Das Beispiel: Seit Jahrhunderten pflegt der Vatikan, die Tore zu schließen, wenn der Papst tot ist. Auch diesmal wurde das Tor geschlossen. Doch durch die Hintertür bat die Kurie eilfertig das Fernsehen an den Sarg. Auch der tote Papst hatte dem Anspruch der medial total vernetzten Weltgesellschaft zu genügen.“
Total und totalitär, so Meyer, lägen nicht weit auseinander. Meyer klagt, die Medien verkämen zu einer Kaste. Kerner, Beckmann und andere: Alle geben sich für Werbung her und das als Journalisten! Zeitungen krisieren sich nicht mehr sondern versinken im Mainstream, interviewen sich gegenseitig, um so Einzelnen von uns zu Stars zu erheben. Ja, und wer arbeitet da noch richtig als Journalist? Meyer: „So hat sich der Beruf verändert, den ich in den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts erlernte. Es war damals ein Laufberuf. Ich fuhr zu den Politikern, von denen ich etwas wissen wollte, zu den Beamten, Unternehmern, Künstlern, Forschern. Ich lebte journalistisch von Begegnungen, von sinnlichen Eindrücken, von Gesichtern, die meine Recherchearbeit begleiteten. Ich eilte zu Versammlungen und Protestmärschen. Es war ein ununterbrochenes Kennenlernen anderer Menschen.
Wie gestaltet sich der journalistische Alltag heute? Ich sehe sie gebannt am Laptop sitzen. Sie rufen ab, was andere schon formuliert haben. Sie schreiben Geschichten, die sie aus anderen, vorgeformten Geschichten im Netz verfertigen. Sie zeichnen Porträts aus biografischen Versatzstücken und Gerüchten, wie sie im Internet in Unzahl zu finden sind. So werden Vorurteile und Falschurteile, Unwahrheiten und Unterstellungen über Menschen nicht nur konserviert, sondern auch regelmäßig neu aufbereitet. Oft sind es vernichtende Bilder, die so gezeichnet werden, in der Regel sind es Bilder voller Häme. Häme hat sich ja mittlerweile durchgesetzt als Stilersatz – Muckefuck statt Kaffee. Am Bildschirm lässt es sich sehr bequem über Politiker oder Unternehmer journalistisch zu Gericht sitzen. Man begegnet den Opfern nur noch selten. Richter sollten für einige Monate ins Gefängnis gesteckt werden, bevor sie richten dürfen. Dann wüssten sie, was sie tun. Und Journalisten sollten einer Kampagne von Kollegen ausgesetzt werden. Dann wüssten sie, was sie anrichten können. Mehr und mehr lebt unser Berufsstand vom Copy & Paste. Die Journalisten kopieren sich fortwährend selbst. Seit Jahren schon. Und wie es aussieht, auch in Zukunft. Ja, so viele – allzu viele – Journalisten verlernen es, fiebernd vor Spannung hinauszugehen und nachzusehen, bevor sie schreiben.“

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