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Der Blick hinter die Kulissen – Die Welt der Medien

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Pressekodex – Wackelnder Pfeiler in der Flüchtlingskrise und beim Corona-Virus

Was hat der deutsche Pressekodex mit dem Corona-Vitus zu tun? Zunächst einmal gar nichts, mag man meinen. Doch beherrscht seit etlichen Wochen die in China ausgebrochene Epidemie die Berichterstattung deutscher Medien. Sogar die Tagesschau erklärte das Thema schon zur Inlands-Top-Meldung, als gerade einmal zehn Infizierte in Deutschland ausgemacht worden waren und berichtete in der selben Sendung erst mit der zweiten Meldung über die Lage in China, wo zu der Zeit schon mehr als 60 000 Menschen betroffen waren. Ist das die richtige Gewichtung mit Blick auf Relevanz, Aktualität, persönliche Betroffenheit und all die anderen Nachrichtenfaktoren oder Selektionskriterien, die eine Nachricht zur Nachricht machen?

Es gibt berechtigte Zweifel, vielmehr haben die Medien mit ihrer Gewichtung eine regelrechte Panik im Land ausgelöst. So gibt es etwa seit gestern kaum noch Desinfektionsmittel in Deutschland zu kaufen, schießt die Aktien vom Hersteller Paul Hartmann in die Höhe, während die anderer Unternehmen in den Keller gehen (was bei exportorientierten Unternehmen mit Fokus auf China sachlich begründet sein mag).

Der Pressekodex, der die selbst aufgestellten ethischen Regeln der Branche umfasst, sieht unter Punkt 14, „Medizin-Berichterstattung“, vor:

Bei Berichten über medizinische Themen ist eine unangemessen sensationelle Darstellung zu vermeiden, die unbegründete Befürchtungen oder Hoffnungen beim Leser erwecken könnte.

Davon kann leider nicht mehr die Rede sein. Wohltuend sind da natürlich Interviews mit Experten, die über Hygiene-Regeln reden, oder aber Grafiken wie die bei Zeit online, die einfach die Zahl der Fälle nach Bundesländern skizzieren und so verdeutlichen, dass es noch keinen Grund für Angst und Panik gibt, auch wenn sich Infektionen expionentiell ausbreiten, werden sie nicht frühzeitig eingedämmt.

Inzwischen warnt der Journalistenverband DJV:

Der Deutsche Journalisten-Verband weist vor dem
Hintergrund der wachsenden Zahl von Infektionen mit dem sogenannten Corona-Virus auf die Notwendigkeit einer an Fakten orientierten Berichterstattung hin. „Was die Menschen jetzt brauchen sind Aufklärung, Rat und Orientierung“, erklärt DJV-Bundesvorsitzender Frank Überall. Journalistinnen und Journalisten sollten sich an die
Empfehlungen des Pressekodex halten.

 

Was aber ist der Pressekodex wert, wenn Medien weniger sensibel mit dem Thema umgehen und selbst das öffentlich-rechtliche Fernsehen problematisch reagiert?

Seit der Flüchtlingskrise hat sich im Land die Berichterstattung über Straftaten deutlich verändert: War es früher gegen die Regeln, gemeinhin Pressekodex genannt, die Nationalität eines Straftäters zu nennen, sofern dies keine Rolle für die Berichterstattung spielt, so ist dies heute legitim. Ja, es ist sogar durch eine Korrektur des Kodex erlaubt, auch wenn der Presserat als Organ die Richtlinie 12.1. lange Zeit verteidigt hat:

„In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründeter Sachbezug besteht.“

Seit 2017 aber heißt es:

Richtlinie 12.1 – Berichterstattung über Straftaten (gültig seit 22.03.2017)
In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.

Der Presserat sah sich zudem veranlasst, einen „Praxis-Leitfaden“ zu der Richtlinie herauszugeben, man war sich wohl selbst nicht sicher, ob die Lockerung der richtige Weg ist.

Über den Disput hat der Deutschlandfunk 2018 gut berichtet.

Es scheint, als sei eine öffentliche Debatte über das Regelwerk der Medien angebracht, zumindest innerhalb der Branche.

 

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