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Tempo: Wagner beerdigt Trendmagazin – und seine eigene Vergangenheit

Tempo, das war das Trendmagazin der Neunzigerjahre, jetzt ist es noch ein letztes Mal – zum zwanzigsten Jubiläum – erschienen. In der „Welt“ rezensiert Franz Josef Wagner, Chef-Kolumnist des Springer-Verlags, das Heft:
„Niemals habe ich etwas Unlebendigeres angefasst, niemals etwas
Kälteres, außer einen Otto-Katalog. Die Gedenknummer von Tempo hat
nichts begriffen. Nichts von den Niederlagen, den Kompromissen, den
Frustrationen des „New Journalism„, auf dessen Schlachtfeld ich auch
gefallen bin. Dazu später mehr.487 Spiegeleier von Mutter Beimer
Am Anfang des neuen Heftes von Tempo Werbegag-Fotos, routiniert
ausgedacht wie von Springer & Jacobi oder Jung von Matt. 138.700
Zigaretten rauchte Helmut Schmidt in den letzten zehn Jahren. 5,2
Millionen Liter Blut wurden seit 1996 in Kriegen vergossen, die Menge,
die in zwei Olympia-Schwimmbecken passt (Tempo fotografierte). Danach
die 487 Spiegeleier, die Mutter Beimer in der Endlos-Serie
Lindenstraße brutzelte. Großartige Doppelseiten, aufgebahrt wie
Hollywood-Leichen. Als Tempo noch lebte, hießen diese Seiten
„Tempodrom“. Und die Philosophie war: The picuture tells the story. „

Wagner ist nicht irgendeiner, wenn es um Tempo und das damals vorherrschende Lebensgefühl geht, was er freigiebig kundtut:
“ Hunter S. Thompson vertrat die Ansicht, dass der Autor einer
Geschichte genauso betrunken sein muss, wie der Alkoholiker, über den
er schreibt. Das war der Tempo-Journalismus. Und es ist der
Journalismus, an den ich bis heute glaube. Man muss zornentflammt
sein, um über Zornige zu schreiben. Davon ist nichts im neuen Heft von
Tempo. Ich hätte so gern Nettes über Tempo 2006 geschrieben. 1. Weil
ich Markus Peichl liebe. 2. Weil ich Christian Kracht zum ersten Mal
in Tempo las, es ist 20 Jahre her. 3. Weil meine Tochter bei Tempo
volontierte. 4. Weil ich als Chefredakteur der Bunten ein bürgerliches
Tempo machen wollte. Was mir total misslang. Bis zum Rauswurf. Bis zur
Ächtung.
Ja, wir waren Leute, die glaubten Zeitgeist zu sein. Das neue Heft von
Markus Peichl ist der verzweifelte Aufschrei eines Blattmachers, der
es besser machen will als Bunte, Stern, BamS, Welt, Park Avenue. Ich
denke, dass mit Tempo 2006 endgültig der poetische Journalismus
begraben ist.“

Bleibt die Frage: Wie sehen die neuen, trendigen Magazine aus, die die Lebenswelt einer neuen Generation ansprechen und vor allem Papier und virtuellen Raum verbinden?

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