Probleme der Kapitalbesteuerung
III. Die Politikentwicklung
III.1. Öffentliche Diskussion um eine neue Kapitalbesteuerung
Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts entbrannte eine rege Diskussion über mögliche Formen einer neuen Kapitalbesteuerung. Die Spitzenverbände der Bankwirtschaft, die Deutsche Bundesbank, der Bund der Steuerzahler aber auch die politischen Parteien, Bundesministerien etc. brachten ihre Vorschläge über die Medien in die Öffentlichkeit.
Maßgebende Argumente der einzelnen Modelle waren dabei zum einen die Besteuerungsgleichheit, die ökonomische Effizienz, die besondere Berücksichtigung der Altersvorsorge sowie die Schonung des deutschen Kapitalmarktes und somit die Verhinderung einer erneuten Kapitalfluchtwelle, wie sie bereits vor der Einführung der Quellensteuer 1988 erfolgt war.
Weiterhin war der redistributive Charakter der Besteuerung zu berücksichtigen. Daher wurden auch Vorschläge unterbreitet, die regulative Elemente beinhalteten, um nachträglich die Steuerehrlichkeit bei den Bankkunden zu fördern. Der damalige Präsident der Deutschen Bundesbank, Helmut Schlesinger, schlug daher eine deutliche Erhöhung der Sparerfreibeträge auf 5000 Mark für Ledige vor. Zum einen sei damit ein Großteil der Sparer von der Zinsbesteuerung ausgenommen, zum anderen steige damit die Bereitschaft bei den Steuerpflichtigen zur Steuerleistung.[41] Die Vorschläge bezüglich der Sparer-Freibeträge divergierten von 2000 Mark in Höhe der Arbeitnehmerpauschale für Ledige (vorgeschlagen von dem CDU-Finanzexperten Gunnar Updall und dem Vorstandssprecher der Hamburger Sparkasse, Karl-Joachim Dreyer) bis hin zu 6000 Mark durch den Präsidenten des Bundes der Steuerzahler, Armin Feit, „um bei einer Durchschnittsrendite von fünfeinhalb Prozent eine Geldentwertungsrate von dreieinhalb Prozent ohne Substanzverlust auszugleichen“.[42]
Weiterhin wurden drei Gesamtmodelle diskutiert:
Steuerfreiheit | Kontrollverfahren | Steuerabzugsverfahren
a) Quellensteuer b) Abgeltungssteuer c) Anrechenbarer Zinsabschlag |
Aufgrund der negativen Erfahrungen, die bereits 1988/89 mit der Quellensteuer gemacht wurden, entfiel der Gedanke einer erneuten zehn prozentigen Besteuerung an der Quelle, wie es der Bundesverband Deutscher Banken (BdB) zunächst vorschlug, zumal es auch nicht dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gerecht geworden wäre. Großer Befürworter einer Abgeltungssteuer (d.h. einer einmaligen Zinssteuer) war der Bundesverband der Volksbanken und Raiffeisenbanken. Er forderte eine 30 prozentige Besteuerung aller Zinserträge auf Geldanlagen sowie einen Freibetrag von 5000 Mark. Da der Steuersatz unter dem der meisten persönlichen Einkommensteuersätze liege, würde somit einer Kapitalflucht vorgebeugt werden und zudem das Bankgeheimnis gewahrt, da es keine Meldepflicht gäbe. Deutlich abgelehnt wurde dieses Verfahren vom Deutschen Sparkassen- und Giroverband. Er bezeichnete sie unter sozialen Gesichtspunkten für problematisch, „da derjenige, der von einem hohen Kapitalvermögen lebe, dann niedriger besteuert werde als derjenige, der überwiegend von seinem Arbeitseinkommen abhängig sei und unter Umständen höhere Steuern zahle“.[43]
Das von der SPD seit 1985 geforderte Kontrollverfahren fand wegen der Beeinträchtigung des Bankenerlasses ebenso wenige Befürworter wie ein unbürokratisches Stichprobenverfahren, vorgeschlagen von der SPD-Finanzexpertin Ingrid Matthäus-Maier. Das Bundesministerium für Finanzen (BMF) lehnte das Stichprobenverfahren mit der Begründung ab, das dadurch die Kapitalflucht höher ausfalle als bei einer Abgeltungssteuer. Der Gedanke an eine Steuerfreiheit fand ebenfalls keine Zustimmung, da aufgrund der hohen Staatsdefizite auf eine solche Steuereinnahme nicht verzichtet werden konnte.
Das BMF selber prüfte zu diesem Zeitpunkt die Einführung einer 25 prozentigen Abgeltungssteuer. Der Sparerfreibetrag sollte dabei auf 3000 Mark angehoben werden, wobei insgesamt mit Mehreinnahmen von 20 bis 25 Milliarden Mark gerechnet wurde.
Öffentlich dargestellte Vorschläge der politischen Akteure zu einer neuen Ertragsbesteuerung
Politischer Akteur | Freibetragsregelung | Angestrebte Verfahren |
Deutsche Bundesbank | 5000 Mark | -/- |
Bundesverband deutscher Banken | -/- | Zunächst für eine Quellensteuer |
Bundesver-band deutscher Volksbanken und Raiffeisen-banken | 5.000 Mark | Abgeltungssteuer in Höhe von 30 % |
Deutscher Sparkassen- und Giroverband | Für Sonderregelung der Altersvorsorge | Keine Lösung, allerdings müssen alle Kapitaleinkünfte gleich behandelt werden |
Hamburger Sparkasse | 2.000 Mark | EU-Harmonisierung unabdinglich |
Bund der Steuerzahler | 6.000 Mark | -/- |
CDU | 2.000 Mark | Stichprobenverfahren und EU-Harmonisierung |
SPD | 3.000 Mark | seit ´85 Kontrollverfahren angestrebt; neuerdings Stichprobenverfahren |
FDP | 4.000-5.000 Mark | Ab bestimmter Zinsein-kunftshöhe Meldepflicht der Banken; Stichprobenverfahren |
Bundesministerium für Finanzen | 3.000 Mark | Abgeltungssteuer in Höhe von 25 %. |
Bundesministerium des Innern | Schaltete sich insofern ein, als daß es ein Geldwäschegesetz forderte, ab Beträgen von 30.000 Mark |
III.2. Diskussion im legislativen Rahmen
III.2.1. Die Regierungskoalition und die Zinskommission
Innerhalb der Regierungskoalition wurde wie in der Öffentlichkeit diskutiert und versucht, eine für alle zufriedenstellende Lösung zu erarbeiten. Daher setzten CDU/CSU und FDP die „Zinskommission“ ein, die mit der Erarbeitung einer praktikablen Lösung bis Ende September/Anfang August 1991 beauftragt wurde. In dieser Kommission verdichtete sich die Zahl der politischen Akteure auf die Finanzexperten der Fraktionen sowie auf Vertreter aus dem Bundesfinanzministerium. Dies dürfte zum einen den Zweck gehabt haben, in Ruhe und unter politischen Vertretern sowie Ministerialbeamten ein Konzept zu erarbeiten. Andererseits drängte die Zeit, so daß nicht nur qualitativ sondern vor allem effektiv gearbeitet werden sollte. Zu einer Sitzung wurden auch Experten der Bankenverbände und der Deutschen Bundesbank eingeladen und gehört.
Die Zinskommission setzte sich mit allen in der Öffentlichkeit diskutierten Lösungsalternativen auseinander. Die öffentliche Diskussion war in sofern recht effektiv.
Die Zinskommission setzte sich selber fünf Ziele, die unbedingt durch das spätere Konzept erfüllt sein sollten, und auf die die einzelnen Alternativen geprüft wurden:
- Verfassungsmäßigkeit
- EG- und Auslandsverträglichkeit
- Schonung des Kapitalmarktes
- Schonung der Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen
- Minimierung des bürokratischen Aufwandes
Nach Abwägung aller Vor- und Nachteile entschied sich die Zinskommission für den Zinsabschlag. Diese Lösungsalternative hatte folgende Inhalte:
– Für Zinsen aus Kapitalforderungen wird grundsätzlich ein 25-prozentiger Zinsabschlag eingeführt.
– Der Sparerfreibetrag wird auf 5.000/10.000 DM (Ledige/Verheiratete) angehoben.
– Die Masse der Sparer wird möglichst unbürokratisch vom Steuerabzug freigestellt durch ein „Freistellungsverfahren“ an das jeweilige Kreditinstitut. Diese Freistellungsaufträge stehen dem finanzamt zur Kontrolle zur Verfügung.
– Abzugspflichtig ist die auszahlende Stelle (Kreditinstitut).
– Zur Schonung des Kapitalmarkts hat die auszuzahlende Stelle Steuerausländer vom Steuerabzug auszunehmen.
– Im Zusammenhang mit den Maßnahmen wird die steuerliche Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen und die Besteuerung von Alterseinkünften verbessert.
– Der Zinsabschlag wird zum 1. Januar 1993 eingeführt. Es bedarf keiner Regelungen zur Rückwirkung und zur Amnestie; keine Aufhebung des „Bankenerlasses“.[44]
Nach Auffassung der Zinskommission komme diese Lösung den Ansprüchen am nächsten. Eine optimale Lösung wurde im Zinsabschlag demnach auch nicht gesehen.
III.2.2. Bearbeitung durch den Finanzausschuß
Nachdem die Bundesregierung und das Bundesfinanzministerium dieses Konzept erarbeitet hatten, wurde auf dieser Grundlage Bundestag und Bundesrat ein entsprechender Gesetzentwurf vorgelegt.[45] Im weiteren Gesetzgebungsprozeß sollten noch einige Änderungen vorgenommen werden; nicht zuletzt, weil es sich um ein zustimmungsbedürftiges Gesetz handelte.
Die SPD als Bundestagsopposition hatte somit über den Bundesrat die Möglichkeit, Einfluß auf die Gestaltung des Gesetzes zu nehmen. Der Bundesrat lehnte den Entwurf entsprechend als Ganzes ab, da der Verstoß gegen den Gleicheitssatz weiterhin nicht aufgehoben werden könne. Zudem sollten die Mehreinnahmen weniger für steuerliche Entlastungen als vielmehr für die Verbesserung des Familienlastenausgleichs verwendet werden. Die Gesinnungskonformität zwischen den Länderparteien und der Bundespartei ist nicht bei allen zustimmungsbedürftigen Gesetzen vorhanden, kann in diesem Fall aber zweifelsfrei unterstellt werden. Hierbei waren es nämlich weniger Länder- und Bundesinteressen, die diskutiert wurden, sondern grundsätzliche Fragen (sozialer Art, Frage der Gerechtigkeit etc.).
Entsprechend der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags wurde der Entwurf an den Finanzausschuß zur Überarbeitung weitergeleitet. Dabei ging es darum, nach Möglichkeit vor den Abstimmungen in Bundestag und Bundesrat eine Lösung im Rahmen des Entwurfs zu erarbeiten, die für Regierungsmehrheit wie auch Opposition tragbar ist.
Auch Experten und Interessenvertreter hatten hier noch einmal die Möglichkeit in einer öffentlichen Anhörung Stellung zu beziehen.
III. 2.2.1. Das Hearing im Finanzausschuß
Am 6. Mai 1992 wurde der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf in einer öffentlichen Anhörung im Finanzausschuß des Deutschen Bundestages erörtert. Dabei hatten Verfassungsrechtler, Wirtschaftsforschungsinstitute wie auch Vertreter der Kreditwirtschaft die Möglichkeit zur Stellungnahme.[46]
Die Kernbereiche dieses Hearings waren zum einen die Verfassungskonformität des Entwurfs, der Diskurs bezüglich der Sparerfreibeträge, das Freistellungsverfahren, die Ausnahmebereiche der Ertragsbesteuerung im Entwurf, die Vermögens- und Erbschaftssteuer, das Problem der Vorsorgeaufwendungen sowie abschließend die Änderung des Kapitalanlagengesetzes.
Von zentraler Bedeutung waren die gesamtwirtschaftlichen Folgen einer Zinsabschlagsteuer. Vertreter der Kreditwirtschaft wie Krause (BdB) oder der Wirtschaftsforscher Dr. von Loeffelholz (RWI) betonten dabei die psychologische Komponente. Es sei von entscheidender Bedeutung, wie die Zinsabsclagsteuer von den Betroffenen akzeptiert werde. Der BdB beispielsweise befürwortete den Zinsabschlag, da “ alles zusammengenommen, Akzeptanz, internationale Harmonisierungsfähigkeit und die Entsprechung mit den Grundsätzen des Verfassungsgerichts“ durch das Konzept erfüllt seien.[47] Prof. Littmann (Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer) warnte jedoch davor, lediglich mögliche gesamtwirtschaftlichen Folgen in die Entscheidung einzubeziehen:
„Es gibt keine Besteuerungslösung, die wirtschaftlich nicht irgendwelche Folgen hätte. Man ist hier nur dabei, dieses seltsame Theorem aufzustellen, daß das scheue Reh nicht besteuert werden darf. Das scheue Reh muß natürlich in ein gewisses Gatter hineinkommen. Diese Gatter ist nur innerhalb Europas zu finden.“(S.50)
Besonders befragt wurde die Kreditwirtschaft bezüglich der praktischen Anwendung der Freistellungsaufträge. Daran war den Vertretern der Verbände auch gelegen, da die Kreditinstitute laut Entwurf ab 1993 unter anderem damit beauftragt werden sollten, die Freistellungsaufträge entgegenzunehmen und weiterzuleiten. Dieses Thema nahm daher bereits in der schriftlichen Stellungnahme der Verbände einen breiten Rahmen ein.[48] Dr. Philipkowski vom Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken berief sich auf eine interne Untersuchung, nach der jeder Vermögensberater im Vorfeld etwa 1100 Kunden bezüglich der Nichtveranlagungsbescheinigungen und Freistellungsaufträge beraten müßte. Somit wäre eine Vorlaufzeit von einem halben Jahr nötig, um die entsprechenden Vorbereitungen treffen zu können. Dr. Gorniak vom Deutschen Sparkassen- und Giroverband wehrte sich dabei gegen die Verlagerung staatlicher Aufgaben auf die Bankwirtschaft. Seine Mitglieder würden nur „mitmachen“, um den Kunden zu helfen.[49] Der Verband der Auslandsbanken in Deutschland betonte in seiner schriftlichen Stellungnahme die Gefahren für den Kapitalmarkt, verwies jedoch auf die Problematik der Steuerinländer und Steuerausländer. „Es ist davon auszugehen, daß die Emittenten im Interesse ihrer Kunden (Anleger) ihre ausländischen Zahlstellen zur quellensteuerfreien Honorierung von Wertpapierzinsen einsetzen werden.“ Damit wurde bereits der Komplex der „Beihilfe zur Steuerhinterziehung“ aufgegriffen. Einen großen Rahmen nahm die Frage ein, ob der Entwurf den Wünschen des Bundesverfassungsgerichts nachkomme, also verfassungsmäßig sei. Expizit Stellung zu diesem Komplex bezogen die Professoren Birk (Westfälische Wilhelms-Universität Münster) und Arndt (Universität Mannheim). Birk zweifelte daran, daß durch den Entwurf die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Steuergerechtigkeit herbeigeführt werde, da nur bis zum Steuersatz von 25 Prozent der Steueranspruch realisiert werde. Er bezweifelte daher, daß das Gesetz einer erneuten Verfassungsprüfung standhalten werde. Dem schloß sich Arndt voll und ganz an. Nach Auffassung Birks sei der beste Kontrollmechanismus – sofern der Bankenerlaß bestehen bliebe – die Abgeltungssteuer oder aber der höchstmögliche Steuersatz auf Kapitalerträge, also 53 Prozent. Dieser Auffassung schloß sich der Sachverständigenrat in vollem Umfang in seiner schriftlichen Bewertung an.[50]
Bei allen weiteren Themenkomplexen wurden ebenso zahlreiche Defizite aufgezeigt, die die Problematik einer effektiven nationalen Lösung der Zinsbesteuerung deutlich machten.
Im Ausschuß verwies der Vorsitzende Gattermann daher bereits auf den Vermittlungsausschuß, in weiser Voraussicht, daß die SPD im Bundesrat dem Entwurf erneut nicht zustimmen würde.
Das Hearing darf als mögliche Einflußnahme von Verbänden und Experten nicht überbewertet werden. Die Ausschußmitglieder sehen es eher als letzte Informationsmöglichkeit, bevor sie zu einem abschließenden Urteil gelangen. Dies trifft auf das behandelte Hearing zu, da die Meinungen der Experten nur noch bedingt im Gesetzentwurf Berücksichtigung fanden. Im wesentlichen blieb der Entwurf also bestehen, so daß z.B. die bedenklich stimmenden Äußerungen der Verfassungsrechtler nicht mehr ins Gewicht fielen.
III.2.3. Der Vermittlungsausschuß: Schlichtungsorgan zwischen Bund und Ländern
Der Finanzausschuß legte am 3. Juni 1992 einer Beschlußempfehlung vor.[51] Er folgte damit – gegen die Stimmen der SPD[52] – der Gesetzesvorlage der Zinskommission.
Lediglich in Detailfragen wurden der Bundesregierung Änderungen vorgeschlagen, die vor allem auf Bedenken der Bankwirtschaft zurückzuführen sind. Stückzinsen sollten daher aus verwaltungstechnischen Gründen ers ab dem 1. Januar 1994 dem Zinsabschlag unterliegen. Zudem sollten nach Ansicht der Bundesbank Wertpapiere in Depots ausländischer Banken nicht der Zast unterliegen, da sonst Risiken für den Kapitalmarktzins zu befürchten seien. Außerdem wurde der Kreditwirtschaft in sofern Rechnung getragen, als das Auslandsniederlassungen deutscher Banken mit Auslandsbanken gleichbehandelt wurden.
Zusammengefaßt hat die Bankwirtschaft in großem Umfang von den Anhörungsmöglichkeiten Gebrauch gemacht. In der Öffentlichkeit, bei der Zinskommission und im Finanzausschuß. Schon alleine aus der Motivation heraus, ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Letztendlich zeigte sie sich zunächst mit dem Ergebnis zufrieden, wenngleich der Gesetzgeber nicht in vollen Umfange den Argumenten angeschlossen hat.
In der zweiten und dritten Lesung des Bundestages trugen alle Fraktionen nochmals ihre Argumentationen vor, ehe der Entwurf mit den Stimmen der Regierungskoalition angenommen wurde. Mit der gleichen Argumenten lehnte der Bundesrat die Vorlage erneut ab, so daß der Vermittlungsausschuß einberufen werden mußte.[53]
Die Empfehlung des Vermittlungsauschusses erging am 8. Juli 1992 und wurde am 24. September 1992 vom Deutschen Bundestag bei zwei Gegenstimmen und sechs Enthaltungen angenommen. Somit konnte das Gesetz zur Neueregelung der Zinsbesteuerung (Zinsabschlaggesetz) zum 1. Januar 1993 inkrafttreten.[54]
III.3. Die Zinsabschlagsteuer und die neuen Aufgaben der Bankwirtschaft
Im wesentlichen wurde mit dem neuen Gesetz zur Ertragsbesteuerung folgendes umgesetzt:
– Seit 1993 wird ein auf die Einkommen- und Körperschaftssteuer anrechenbarer Zinsabschlag von 30 Prozent in Form einer Zahlstellensteuer einbehalten.
– Erträge aus Tafelgeschäften sind dem Zinsabschlag in Höhe von 35 Prozent unterworfen.
– Der Sparer-Freibetrag wurde von 600/1.200 Mark verzehnfacht, somit auf 6.000 /12.000 Mark angehoben (Ledige/Verheiratete).
– Der Werbekostenpauschbetrag blieb unverändert bestehen (100/200 Mark).
– Der Freibetrag für sonstige Vermögen wurde nicht verzehnfacht und blieb mit 10.000/20.000 Mark bestehen. Ein erbschaftssteuerlicher Freibetrag von 100.000 Mark für Kapitalvermögen wurde ebenfalls nicht eingeführt.
– Um den Werbekostenpauschbetrag und die Sparer-Freibeträge direkt zu berücksichtigen wird ein Freistellungsverfahren eingeführt. Die Freistellung ist der auszahlenden Stelle zu erteilen.
– Steuerausländer sind vom Zinsabschlag ausgenommen. Zinszahlungen an Auslandsbanken sind ebenfalls vom Zinsabschlag befreit.
– Ebenfalls ausgenommen sind Girokonten mit einre Verzinsung von maximal einem Prozent, in der Regel Bausparzinsen sowie Zinsen aus Interbankeinlagen.
– Das Bankgeheimnis bleibt weiterhin bestehen.
Durch das Zinsabschlaggesetz wurde die Kreditwirtschaft angehalten, Steuern auf Kapitalerträge (Zinseinkünfte) einzubehalten und an die Finanzämter abzuführen. Den Kreditinstituten wurde damit eine originär dem Staat obliegende Aufgabe übertragen. Damit verbunden waren erhebliche Kosten aber vor allem zahlreiche Überstunden der Vermögensberater der Banken, die ihren Kunden das mit dem Gesetz verbundene Verfahren der Steuererhebung und mögliche Formen der Steuervermeidung erklären mußten.[55] Aus Sicht der Banken war diese Beratung auch bezogen auf des unternehmenseigene Marketing von großer Bedeutung:
„Die Kundenberater der Sparkassen sollten ihre Beratungskompetenz dadurch zum Ausdruck bringen, daß dem Kunden detaillierte steuerliche Auskünfte im Zusammenhang mit der Zinsbesteuerung gegeben werden können, um auf diese Weise Marktanteile zu sichern oder zu gewinnen.“[56]
Um dies umsetzen zu können, führen die Verbände der Kreditwirtschaft regelmäßige Fachseminare zur Vermögensberatung durch, bei denen Steuerberater und Universitätsprofessoren referieren. Neben der Anlageberatung sind für die Banken formaltechnische Aufgaben verbunden, wie die Freistellungsaufträge, die Einbehaltung der Zast etc.
Mit der Einführung der Zinsabschlagsteuer stellt der Anleger nun bei seiner Zahlstelle (Bausparkasse, Banken, Sparkassen etc.)[57] einen Freistellungsauftrag in der Höhe der zu erwartenden Zinseinkünfte, sofern diese nicht den Sparer-Freibetrag übersteigen. Dabei tritt bereits das Problem auf, daß bei bestimmten Anlageformen[58] der Zinsertrag nicht genau vorhergesagt werden kann. Legt der Anleger bei mehreren Zahlstellen Geld an, so muß er jeder Zahlstelle einen Freistellungsauftrag erteilen, die zusammen addiert den Freibetrag ebenfalls nicht übersteigen dürfen. Auf dem Freistellungsauftrag sind darüber hinaus der Name, der Wohnort sowie das Geburtsdatum des Antragstellers anzugeben.[59]
Die Banken behalten die Aufträge ein und leiten sie nach Aufforderung an das Bundesamt für Finanzen weiter, das somit unter anderem überprüfen kann, ob bei mehreren Freistellungsaufträgen einer Person der Höchstbetrag überschritten wurde. In diesem Fall würde sich der Anleger der Steuerhinterziehung strafbar machen. Die Informationen werden von den Banken sechs Jahre bereitgehalten. Das Bankgeheimnis wurde in sofern gewahrt, als daß die Gesamthöhe der Zinseinkünfte sowie das Guthaben eines Kontoinhabers prinzipiell nicht bekannt wird. Erst wenn die die Freibetragsgrenzen durch mehrere Freistellungsaufträge überschritten werden, also der Verdacht der Steuerhinterziehung besteht, dürfen die Steuerfahnder aktiv werden.
Das Freistellungsverfahren war bereits für die Zinskommission von großer Bedeutung:
„Bei allen Kommissionsmitgliedern bestand Einigkeit, daß ein unbürokratisches Freistellungsverfahren für die Akzeptanz des Zinsabschlags entscheidene Bedeutung hat.“[60]
Erstmals per Allgemeinverfügung vom 9. Februar 1994 wurden Informationen über Freistellungen vom Bundesamt für Finanzen bis spätestens zum 31. Mai 1994 angefordert. Es wurden alle Freistellungsaufträge (100 Prozent) des Jahres 1993 sowie alle Korrekturmeldungen aus 1994 nachgefragt. [61]
Das Steuererhebungsverfahren sieht für die Banken folgendermaßen aus:
Bei Auszahlung der Zinseinkünfte behält die Zahlstelle 30 Prozent des Betrages als Zinsabschlagsteuer ein (35 Prozent bei Tafelgeschäften). Spätestens bis zum 10. des Folgemonats muß die Bank dem zuständigen Finanzamt Meldung machen und den Betrag abführen (§44 EstG). Besteht der Kapitalertrag nicht in Geld (z.B. indem weitere Wertpapiere ausgegeben werden), so muß der Gläubiger, d.h. der Empfänger, den Fehlbetrag zur Verfügung stellen. Erfolgt dies nicht, so muß die Bank dies ebenfalls dem zuständigen Finanzamt anzeigen.
Darüber hinaus kann die Besteuerung nach etlichen Kriterien unterschiedlich verlaufen, etwa durch die Unterscheidung von Steuerinländern und Steuerausländern oder nach Anlageformen wie verschiedene Depotfälle, thesaurierende Fonds (hier erfolgt z.B. eine Quellenbesteuerung anstelle des Zinsabschlags. Die Steuer behält die Investmentgesellschaft ein und nicht die Zahlstelle) etc.[62] Ein weiteres Beispiel liefern körperschaftsteuerpflichtige Zusammenschlüsse, wie nich-trechtsfähige Vereine. In diesem Fall muß die Bank bei der Freistellung über Nichtveranlaguns-Bescheinigungen anhand der Satzung der Personengruppe überprüfen, ob alle wesentlichen Merkmale gegeben sind. Diese wenigen Beispiele zeigen bereits, welche Aufgabenfülle und -komplexität den Kreditinstituten übertragen wurde.
Bereits im Vorfeld der Zast war für die Kreditwirtschaft die Haftungsfrage von zentraler Bedeutung. D.h. bei welchen Vergehen im Besteuerungsverfahren kann die Bank haftbar gemacht werden? Die Forderung des BdB, nicht für die Richtigkeit der Angaben der Antragssteller haften zu müssen, wurde berücksichtigt, so daß die Banken die Angaben nicht überprüfen müssen. Sie haftet lediglich für die Erhebung und Abführung der Zast. Diese Haftung entfällt, wenn sie nachweist, ihre Pflicht weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt hat.
Die Kreditwirtschaft hat die Regelungen zum Zinsabschlag äußert mißliebend aufgenommen. Obwohl sie im Gesetzgebungsverfahren von der Zinskommission sowie dem Finanzausschuß gehört wurde und einige Bedenken auch Berücksichtigung fanden, führte das Zinsabschlaggesetz zu einer eher ablehnenden Haltung. Dies mag sicher daran gelegen haben, daß wesentliche Bedenken der Bankwirtschaft, wie etwa die Einbeziehung von Zinsen aus unternehmerischer Tätigkeit, der Hinweis auf mögliche Verlagerungen von Kapitalvermögen ins Ausland und die Notwendigkeit einer europäischen Harmonisierung für sie unzureichend berücksichtigt wurden. Zugleich ist die ablehnende Haltung auch auf das Selbstverständnis der Banken zurückzuführen, unter das die Einbehaltung von Steuern per definition nicht fällt. Das sie dennoch an den Verhandlungen teilgenommen haben, mag daran gelegen haben, daß das Bankgeheimnis in Gefahr war, unter anderem versucht wurde, zu retten, was noch zu retten war.[63] Das Problem ist und war den Politikern durchaus bewußt. Mit der folgenden Äußerung des CDU-Finanzexperten Kurt Faltlhauser, die fast einer Entschuldigung gleicht, wird dies deutlich:
„Die Regelungen zum Zinsabschlag sind von den Banken nicht begeistert aufgenommen worden. In öffentlichen Äußerungen aus dem Bereich der Kreditwirtschaft wird immer wieder der Eindruck erweckt, als sei der Zinsabschlag dem Kreditgewerbe gegen seinen Willen aufgezwungen worden. Zunächst aber wurde der Politik etwas vom Bundesverfassungsgericht aufgezwungen. Die Politik mußte dies umsetzen.“[64]